Archäologischer Grabungsbericht “Backofengrabung“

von Dietmar Gehrke 

Archäologische Funde des frühen Mittelalters´ die Ausgrabungen in Glüsingen Nicht mehr obertägig sichtbar sind die Überreste eines mittelalterlichen Backofens in Glüsingen, dessen Ausgrabung im Juli 1994 dank der regen Beteiligung von Mitgliedern der Lüneburger AG Urgeschichte und eines Archäologie-Kurses der Kreisvolkshochschule unter Leitung des Verfassers auf dem Grundstück Fränzel, Glüsingen Nr. 4 (FStNr. 5), abgeschlossen werden konnte. Im Zentrum der Grabungsfläche wurde eine dicke, mehrschichtige Lehmschicht festgestellt, unter der eine ganze Reihe von Scherben des frühen Mittelalters gefunden wurde. Sie markieren den Beginn der Ofenanlage und wahrscheinlich somit auch das Entstehungsdatum des Dorfes. Im Lichte dieser Grabungsfunde ist auch die mutmaßliche Gleichsetzung des 1104/05 erstmalig erwähnten (und in Niedersachsen mehrfach vorhandenen!) Ortes Glüsingen mit dem gleichnamigen Ort der Gemeinde Betzendorf weiter erhärtet worden. Eine dieser Scherben trägt eine Stempelverzierung und besitzt eine direkte Parallele aus der Hamburger Region, die auf dem Falkenberg bei Neugraben gefunden wurde. “Derart fragmentarische Scherben geben uns einen nur unvollkommenen Eindruck der Gefäßform und nur ausnahmsweise erwähnen wir diese doch, da sie den frühesten Siedlungsnachweis (der Burganlage, d. Verf.) auf dem Falkenberg darstellt, diese Scherbe sozusagen eine Schlüsselstellung einnimmt. Darüber hinaus weist die darauf hin, daß gerade auf Burgen Importkeramik den sozial herausgehobenen Stand des Adels anzeigt, der den Fernhandel bestimmte. Stempelverzierte Tonware ist für das fränkische Rheinland im 6. und 7. Jahrhundert typisch, lebt aber bis in das 8. Jahrhundert fort. Eine derartig späte Form mit Kreuzstempel scheint hier vorzuliegen. Sie wird im 9./10. Jahrhundert durch die Pingsdorfer Ware abgelöst, die im Rheinland entstand, aber auch in Südniedersachsen nachgeformt wurde.” Trotz dieser wichtigen Funde jedoch war vom Glüsinger Backofen selbst nicht mehr allzu viel vorhanden. Während die im südlichen Teil der Grabungsfläche festgestellten Findlinge, deren Zwischenräume mit faust- bis kindskopfgroßen Steinen verfällt waren, analog zu einem Vergleichsbefund aus Woermeim Landkreis Harburg (n. R. Articus) als die Überreste des Backhausfundamentes gedeutet werden, waren die im Mittelpunkt der Fläche angetroffenen Findlinge das Fundament des eigentlichen Ofens, der möglicherweise einen Vorgänger am selben Platz besaß, wie einige Steine, die in halbkreisförmiger Reihe in Richtung auf das Hausfundament zuliefen, nahe legen. Auf der gesamten Grabungsfläche wurden Lehmbrocken festgestellt, die kleine verkohlte Holzstückchen umschlossen. Hier handelte es sich offensichtlich um die Reste der Ofenkuppel(n). Schon bei den oberirdisch angelegten Backöfen der Jungsteinzeit lässt sich feststellen, daß diese aus einer mit Lehm verkleideten Ofenkuppel aus Rutenflechtwerk bestehen. Zumindest die dörflichen Backöfen hielten noch bis ins Mittelalter fast durchweg am Schema dieser einfachen Lehmkuppelöfen fest. Die Ofenkuppel selbst war das am wenigsten solide konstruktive Element eines solchen Ofens. So ist aus Experimenten im Archäologischen Zentrum Hitzacker bekannt, dass die runde Lehmkuppel eines Backofens kaum länger als ein Jahr der Witterung standhält und somit durch ein Backhaus o. Ä. überdacht werden musste. Wie sich im Verlaufe eines in Kukate (ebenfalls Kr. Lüchow-Dannenberg) durchgeführten Experimentes zeigte, hielt auch die Kuppel eines (wesentlich kleineren!) Töpferofens den äußeren Einflüssen nicht lange stand, da sie ohne den Schutz eines Daches den Winterfrösten widerstehen konnte. Aus einer Quelle des 18. Jahrhunderts ist bekannt, dass die Form der Ofenkuppel aus Gründen einer wirtschaftlicheren Beheizung meist rund und halbkugelig war; die Grundfläche des Ofens war ebenfalls eher rund als oval. Die Kuppeln der mittelalterlichen Öfen waren meist auf Unterleghölzern oder den Resten von Vorgängerbauten errichtet worden, während die neuzeitlichen Exemplare fast alle über einen massiven Sockel verfügten. Ein solcher Sockel diente jedoch keineswegs allein statischen Zwecken. Ebenso wie die Steinunterfütterung der Backfläche diente auch er der Wärmespeicherung und ihrer optimalen Ausnutzung. Sparsamkeitsgründe werden umso mehr verständlich, wenn man bedenkt, dass für einen einzigen Backgang ganze zwölf bis fünfzehn Reisigbündel vonnöten waren. Wie wir aus verschiedenen Quellen des 18. Jahrhunderts wissen, wurde die Restwärme eines Ofens nach beendetem Backvorgang sogar noch zum Dörren von Obst oder zum Trocknen von Brennholz o. ä. genutzt! Die Backfläche eines intensiv genutzten Backofens musste alle ein bis anderthalb Jahre erneuert werden. Für den Glüsinger Ofen sind dagegen wesentlich längere Zeiträume anzunehmen, da es sich bei ihm nicht um ein gewerblich genutztes Exemplar handelt und er stattdessen wohl vor allem für den häuslichen Bedarf genutzt wurde. Dies Annahme wird weiterhin durch die Tatsache gestützt, dass, nach der örtlichen Überlieferung zu urteilen, offenbar jedes bäuerliche Anwesen in Glüsingen über einen Backofen verfügte. Diese Überlegung ist freilich hypothetisch, da über das Alter der restlichen Backöfen in Glüsingen bisher keine Angaben zu machen sind. Sollte der Glüsinger Ofen vom Hof Nr. 4 in seiner Frühphase allerdings als eine Art eine Art früher Gemeindebackofen gedient haben, wäre eine intensivere Nutzung als bislang angenommen tatsächlich durchaus denkbar. Ein weiterer Weg, der möglicherweise mehr Licht auf die Frage nach der Benutzungsdauer einer Backfläche werfen könnte, wäre eine genaue Analyse der Unterlagen zur Geschichte des Hofes Nr. 4 in Glüsingen. Gelänge es beispielsweise unter Zuhilfenahme der Kirchenbücher oder der Verkoppelungsakten, die genaue Personenzahl der auf dem Hof Nr. 4 in Glüsingen gleichzeitig lebenden Menschen zu ermitteln, könnte man aufgrund der in Lübeck errechneten Bedarfsgrößen an Brot pro Person (0,5 kg pro Tag u. Person) und unter Berücksichtigung der Ofenkapazität und der Haltbarkeit des Brotes möglicherweise auch Rückschlüsse auf die Intensität der Nutzung des Glüsinger Ofens ziehen. Die Dauer eines Backganges hängt ebenfalls von der Größe der Brote und der Zusammensetzung des Teigs ab; sie liegt etwa zwischen einer und drei Stunden. Genügte eine Backfläche den Ansprüchen nicht mehr, weil beispielsweise ihre Oberfläche gesprungen war und rissig wurde, überzog man sie einfach mit einer Reihe sorgfältig ausgewählter Steine und mit einer neuen Schicht Lehm. Auf diese Weise entstanden eine ganze Reihe von Backflächen, die dann bei der Ausgrabung übereinander liegend angetroffen werden konnten. Hinzu kommt eine große Anzahl von Bruchstücken aus verziegeltem Lehm und Holzkohle, die sich in dem Bereich zwischen Ofenwand und der Wand des Backhauses befanden. Sie fielen an, als man eine alte Backfläche mit dem Brecheisen (dies berichtet Krönitz 1782!) herausbrach, um eine neue Fläche zu schütten. Die Zubereitung des dazu erforderlichen Lehms soll ganze acht Tage gedauert haben; ein Umstand, der es begreiflich macht, warum man die Reste der alten Flächen nach Möglichkeit einer sekundären Verwendung zuführte. Mit den beim Herausbrechen der alten Backfläche(n) anfallenden Lehmstücken hat man offensichtlich auch die Lehmtenne des Backhauses hergestellt. Es ist auszuschließen, daß die bei der Grabung entdeckte Holzkohle auf die Brennvorgänge während des Ofenbetriebes selbst zurückzuführen ist. Aus den alten Berichten ist nämlich bekannt, dass man sorgfältig alle Holz- und Kohlespuren entfernte, bevor man das Brot zum Backen einschob. Dieses Verfahren war notwendig, da es sich bei dem Glüsinger Backofen um einen sog. Einkammerofen handelte, bei dem Brenn- und Backraum identisch waren. Da sich das Fundament des Backhauses z. T. auf dieser sekundär verwendeten Lehmschicht befand, ist aufgrund dieser stratigraphischen Beobachtung davon auszugehen, daß der Backofen zunächst ohne das ihn umgebende Backhaus existierte. Möglicherweise hatte die Ofenkuppel aus der Frühzeit des Ofens eine Schutzschicht aus Heideplaggen oder ein hölzernes Spitzdach. Sicherlich wird ein Teil des verziegelten Lehms auch im Zusammenhang mit (mindestens) einer Erneuerung der Ofenkuppel zu bringen sein. Die Interpretation der Glüsinger Befunde als Überreste eines Backofens wird auch durch die Funde gestützt. Es wurden u. a. zwei Messer gefunden, von denen eines eine direkte Parallele in einem Fundstück aus Lübeck besitzt. Sowohl bei der Produktion der Standardbrote als auch zur Zwiebackherstellung wurden Messer zum Schneiden des Teiges, zum Einkerben der ungebackenen Laibe und zum Schneiden des Brotes vor dem zweiten Backgang benötigt. Man wird wohl nicht fehlgehen, wenn man als eine der Ursachen für das Ende (bzw. die Verlegung) des Backofens den Bau des benachbarten Hauses annimmt. Gestützt wird diese Annahme zudem noch durch die Lage des sog. Mundloches dieses Backofens, welches, wie eine tiefschwarze, holzkohlehaltige Verfärbung nahe legt, in ungefährer Richtung auf den Standort des Hauses wies. Meistens jedoch waren diese Ofenöffnungen auf der dem Gebäude abgewandten Seite angebracht, um zu verhindern, daß etwaiger Funkenflug das Gebäude in Brand setzen könnte. Diese Gefahr wäre in Glüsingen gegeben, so daß der Bau des Hauses, der dendrochronologischen Untersuchungen zufolge um 1540 erfolgte, mit einiger Wahrscheinlichkeit auch das Ende des Backofens bedeutet haben könnte. Es wäre in diesem Zusammenhang sicher von einigem Interesse, den Baubeginn des zweiten Backofens auf dem Gelände von Hof 4 in Glüsingen zu ermitteln. Dieser Backofen befindet sich in einem sehr viel größerem Abstand zum Wohnhaus als sein mutmaßlicher Vorgänger.

(Entnommen aus: Gehrke, D. / Fränzel, J.: Aus der Geschichte der Dörfer der Gemeinde Betzendorf. Ein Lesebuch, Husum 2002.) 

und manches andere…..